Ist das seriös?
Die Technik des Rollenspiels wird seit vielen Jahrzehnten erfolgreich in der Verhaltenstherapie eingesetzt[1]. Der Schritt zur therapeutischen Nutzung klassischen Pen & Paper Rollenspiels liegt hier nicht fern.
Die Wirkung tritt hierbei auf zwei Ebenen auf: zum einen über allgemeine Wirkfaktoren. Yalom[2] postulierte 11 allgemeine Wirkfaktoren einer Gruppenbehandlung, die seit dem auch immer wieder empirisch bestätigt werden konnten. Die Wirkfaktoren sind:
- Hoffnung einflößen
- Universalität des Leidens
- Mitteilung von Informationen
- Altruismus
- korrigierende Rekapitulation der primären Familiengruppe
- Entwicklung von Techniken des mitmenschlichen Umgangs
- nachahmendes Verhalten
- interpersonales Lernen
- Gruppenkohäsion
- Katharsis
- existenzielle Faktoren
Hierbei werden besonders "Altruismus", "Entwicklung von Techniken des mitmenschlichen Umgangs", "nachahmendes Verhalten", "interpersonales Lernen", "Gruppenkohäsion" und "Existentielle Faktoren" im TRPG-Setting verstärkt gefördert.
"Mitteilung von Informationen" kommt im TRPG im Vergleich zu traditioneller Gruppentherapie erstmal etwas zu kurz: die klassische "Psychoedukation", also Informationen über das eigene Störungsbild, werden hier nur unzureichend vermittelt. Es sollte eine psychotherapeutische Grundversorgungsgruppe oder einige ergänzte Einzelgespräche durchgeführt werden. Dies ist bei mir auch Teil des Therapiekonzepts.
Darüber hinaus gibt es allgemeine Wirkfaktoren des TRPG selbst. Hierzu zählen Emotions- und Nähe/Distanzregulation, Zusammenarbeit, gemeinsame Planung, Perspektivübernahme und das gemeinsame Spielen selbst[3],[4]. Mechanismen wie das Würfeln können helfen, eine als unveränderbar und nicht beeinflussbare Umwelt als vorhersagbar und beherrschbar zu erleben, und so die Selbstwirksamkeit verbessern. Weil es sich um ein Würfelspiel handelt, sind Fehlschläge vorprogrammiert, und der Umgang mit diesen sowie die Attribution auf die Ursache können geübt werden.
Darüber hinaus werden die Inhalte jedes Abenteuers so angepasst, dass die teilnehmenden Patienten (Hinweis) mit ihren individuellen Problemen gut profitieren können.
Es handelt sich um eine neue, und in Deutschland noch nicht verbreitete Therapieform. Aber die existierenden Manuale und eigene Erfahrungen legen eine hinreichende Wirksamkeit nahe[3]. Der Therapieverlauf wird bei mir engmaschig mit Fragebogen und begleitenden Gesprächen überwacht, und der Therapieerfolg entsprechend gemessen.
Also ich verkloppe Monster und meine Depression wird besser?
Ja und Nein. Will man es so simpel ausdrücken muss die Antwort "Nein" lauten. Durch das Verkloppen eines roten Drachen wird die Depression nicht besser. Aber: vielleicht leiden Sie unter sehr niedrigem Selbstwert, und haben nicht das Gefühl viel wert zu sein. Was Sie anfassen, geht sowieso schief. In der letzten Sitzung war schon klar, dass Sie gegen den Drachen kämpfen müssten. Sie waren sich sicher: das war es für uns, die Charaktere sterben alle. Diese, wenig hilfreiche, Kognition haben Sie auch zu Beginn der heutigen Sitzung geäußert, und viel Unterstützung für Ihre Sorgen von der Gruppe bekommen. Als der Kampf dann losgeht, haben Sie heute nicht viel Glück mit den Würfeln - die Gruppe scheint den Kampf tatsächlich zu verlieren. Doch dann kommt Ihnen eine Idee: sie haben doch gelernt, dass Drachen verwundbar gegen bestimmte Elemente sind. Sie beraten sich mit der Gruppe, und erinnern sich: für rote Drachen muss das Wasser sein. Der Druide der Gruppe verzaubert einen Pfeil so, dass er Wasserschaden verursacht. Doch wer kann ihn verschießen? Ihr Charakter wird ausgewählt. Sie würfeln - und schaffen den Angriff. Sie sind ganz in dem Moment, die Depression ist vergessen, Sie beschreiben wie ihr Charakter aus der Deckung hechtet, anlegt, den Pfeil fliegen lässt, und den Drachen genau in der Brust trifft - und die Spielleiterin übernimmt und beschreibt wie das Monster krachend zu Boden geht. Am Ende der Sitzung kommentieren die anderen Spielerinnen, wie toll alle die Szene fanden, und das sie lange im Gedächtnis bleiben wird. Zur Belohnung gibt es auch noch einen Stufenaufstieg für alle. Die ganze folgende Woche freuen Sie sich auf die nächste Sitzung, Sie erzählen Ihrer Partnerperson von dem tollen Erlebnis. Ihre Stimmung ist besser, Sie sind motivierter, und planen vielleicht sogar privat auch wieder die ein oder andere Brettspielrunde. Das, ja das könnte tatsächlich helfen, eine Depression nachhaltig zu bessern.
Quellen
[1] - J. Margraf & S. Schneider (2009). Lehrbuch der Verhaltenstherapie, Band 1, 3. Auflage.
[2] - I. Yalom, 1990; The Theory and Practice of Group Psychotherapy
[3] - E. Kilmer, A. Davis et. al. (2023); Therapeutically Applied Role-Playing Games: The Game to Grow Method
[4] - D- Hand (2023). Role-Playing Games in Psychotherapy: A Practitioner's Guide
Ich lege großen Wert auf geschlechter-gerecht-ere Sprache. Wie wir sprechen beeinflusst wie wir denken und andersherum. Die deutsche Sprache kennt für alle Wörter ein Geschlecht, und das ist auch garnicht anzufechten. Niemand möchte Wörter wie Rüd*innen (für männliche Hunde) oder Stühl*innen schreiben oder Lesen. Aber, gerade bei Berufsbezeichnungen oder Personenbezeichnungen (der Chef, der Polizist, der Spielleiter) entstehen so schnell unnötige Stereotype. Chefinnen, Polizistinnen oder Spielleiterinnen sollten kein "Aftertought" sein, kein Zusatz zur dominierend männlichen Form, sondern selbstverständlich mitgenannt werden. Nicht nur: mitgemeint sein.
Aus diesem Grund gebe ich mir Mühe, woimmer möglich diese Schreib- und Denkweisen aufzubrechen. Allerdings sollte dies nicht die Lesbarkeit des Textes signifikant reduzieren. Leider sind sowohl "Patient", "Spieler" als auch "Spielleiter" drei sehr häufige Wörter auf einer Seite über therapeutisches Rollenspiel, alle männlich, und leider auch nicht so elegant zu umgehen. "Spielende" lässt sich geschlechtsneutral verwenden, "Leitende" notfalls auch, ist aber schon weniger elegant. Ich habe probiert, diesen Teil meiner Seite konsequent durchzu-gendern, aber der Text war leider nicht so lesbar wie ich das mir gewünscht habe, vor allem da die Inhalte garnicht so einfach zu verstehen sind, wenn man noch keine Rollenspielerfahrung hat.
Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, im Bereich für therapeutisches Rollenspiel die männliche und weibliche Form absatzweise wechselnd zu verwenden. Als "Spieler" und "Spielerin", "Spielleiter und Spielleiterin". Dies mag anfangs ein bisschen ungewohnt sein, aber erscheint mir in diesem Fall die sinnvollste Lösung.